Archives for März 2015

Das Glück der kleinen Dinge

Was zählt, ist der eigene Rhythmus
(Sechste Woche vor Ostern)

Als ich jung war und unbedingt Künstlerin werden wollte, träumte ich davon, mich frei und kreativ auszudrücken. Was ich darunter verstand?
In meiner Fantasie stand ich vor Riesenleinwänden, bedeckte sie mit kraftvollen archaischen Zeichen, gab der inneren Größe, die ich spürte, ungehindert Raum. Jackson Pollock war mein Star, ich war wild, ich war lebendig, ich war nicht zu stoppen.

GroßeGesteAuch heute gibt es Zeiten, in denen ich beim Malen die große Geste brauche, den befreienden, ungebändigten Ausdruck, der aus dem ganzen Körper kommt – von den Zehen bis zu den Fingerspitzen.

Ich brauche keine Riesenmalwand mehr für ihn, keine langen Leinwandbahnen auf dem Boden, keine Farbeimer und Malerpinsel. Ein großes Blatt Papier an der Wand, ein paar Temperafarben, ein dicker Aquarellpinsel sind genug und ich breite meine Flügel aus wie ein Adler.

Das Malen hat verschiedene Rhythmen
Doch das ist nur eine Seite des Malens – eine von vielen!
Wie das Leben, wie das Jahr mit seinen Jahreszeiten hat auch das Malen verschiedene Rhythmen. Die große Geste, der weite freie Duktus ist einer von ihnen. Doch es gibt andere – und nicht jeder ist uns vertraut. Manche von ihnen sind uns vielleicht unheimlich, andere verurteilen wir, halten sie nicht für „Kunst“, lehnen sie ab.

Mein inneres Kind liebt besonders die kleinen, spielerischen, oft magischen Dinge. Sie zu malen braucht Geduld, eine bestimmte Art von Hingabe, Spielfreude. Das ist ein Rhythmus, an den ich mich erst gewöhnen musste.
Kleine Blümchen oder (in den Augen meines Kritikers) missglückte Tierdarstellungen hatten für mich auf dem Bild nichts zu suchen. Sie waren nicht frei, nicht künstlerisch, nicht kreativ, sondern Kinderkram. Kleinkariert. Albern.
Deshalb ließ ich sie nicht zu.
KleineDingeDas führte jedes Mal dazu, dass der kreative Fluss für mich stockte.

Die große Geste hatte sich irgendwann erschöpft… und da ich nicht bereit war, mich auf einen anderen Rhythmus einzulassen, kam gar nichts mehr. Oder richtiger: Es kam die Krise, die Blockade, die Verzweiflung.

Hinspüren und einlassen
Inzwischen weiß ich, dass jeder Rhythmus seinen Ort und seine Zeit hat – und dass ICH nicht diejenige bin, die entscheidet, was wann dran ist.
Meine Aufgabe ist es einfach nur, hinzuspüren, wach zu sein, und meinen wechselnden inneren Ausdrucksbedürfnissen Raum zu geben. Keines von ihnen ist besser oder schlechter als die anderen, aber manchmal ist es eben Zeit für die große Geste, und manchmal für die kleinen Dinge (oder einen anderen Rhythmus).

So spürte ich vor ein paar Tagen beim Malen, dass jetzt das Kind den Pinsel ergreifen wollte.
Ich hatte mich schon ein Weilchen eng gefühlt, unwohl, nicht wirklich im Fluss. Das Glücksgefühl, das beim Malen meistens entsteht, war nicht zu spüren.
Ich setzte mich zurück, hielt innere Zwiesprache mit mir, und bemerkte, dass das, was ich gerade malte, nicht mit meiner Energie im Einklang stand. Ein anderer Rhythmus war in mir aufgetaucht, eine leichte Unruhe, ein Schalk, ein Kind, das die Förmchen aus dem Schrank holen und zum Sandkasten gehen will…

AutoAls ich mich darauf einließ, entstand als erstes ein gelbes Auto mit vier grauen Auspuff-Wölkchen. Es fährt eine Straße entlang, die noch gar nicht fertig gemalt ist, und die oben in der rechten Ecke des Bildes in den Bergen verschwindet (auf dem Bild ist nur ein Ausschnitt zu sehen).  Hättest lieber erst die Straße fertig malen sollen, sagte eine Stimme in meinem Kopf, doch sobald das Auto auf dem Blatt entlang fuhr, war ich wieder glücklich.

Als am nächsten Morgen die Briefträgerin kam und ihr gelbes Postauto auf dem Hof stand, dachte ich: Klar, das ist ein Postauto auf dem Bild!
Aber was will es da oben in den Bergen? Da wohnt doch keiner.
Ich schaute mir die Berge noch einmal genauer an und spürte plötzlich, dass sie ein Geheimnis bergen (klar bergen sie etwas, sagte das Kind, sind ja auch Berge! Und ich musste lachen…).
Und ich wusste, dass sich das Geheimnis in den nächsten Malsitzungen enthüllen wird. Das Kind freut sich schon – ich auch!

Das Glück der kleinen Dinge hat mich erfasst, und ich kann es kaum erwarten, wieder mit dem Malen zu beginnen. In den nächsten Tagen gibt es hier sehr viel zu tun, aber mindestens eine Viertelstunde jeden Abend muss drin sein – und wenn Zeit ist, auch mehr.

Wer malt mit?
Alle, die dass Energiefeld nutzen und mitmalen wollen, lade ich herzlich ein, sich einzuklinken und zuhause den Pinsel zu schwingen (oder mit den Fingern zu malen? Jeder Rhythmus braucht seinen eigenen Ausdruck…)

Die Zeiten? Ich werde jeden Abend irgendwann zwischen 18:00 und 20:00 Uhr hier im Atelier dem Glück der kleinen Dinge frönen – bis der Rhythmus wechselt und ein neues Abenteuer beginnt!

Und achtet auf euren Rhythmus
, auf die Art des Ausdrucks, die gerade stimmig für euch ist: Weit und ausholend, zart und filigran, geduldig ordnend, sinnlich fließend oder vielleicht – wie ich im Moment – dem Glück der kleinen Dinge dienend, mit feinem Pinsel, viel Geduld und dem inneren Kind als „Muse“.

Malkurs
Ein Tipp für alle, die mehr malen, mehr entdecken, mehr erfahren wollen: In meinem Malkurs am 24./25. April sind noch Plätze frei!

 

Perfektion ist suspekt

Woche fünf vor Ostern
Die kostbare Gegenwart

Die vielen Reaktionen auf meinen letzten Beitrag erschienen mir wie ein Geschenk.
Alle SchreiberInnen waren sich einig, dass sie von einem Lehrer oder einer Lehrerin keine Perfektion verlangen, sondern Ehrlichkeit und Echtheit suchen. Das geht mir genauso.

Claire_BildEs war schön, sich bestätigt zu fühlen. Mir wurde aber auch klar, dass es mir nicht vordringlich um Bestätigung geht.

Das Wichtigste an all den spontanen Mails und Grüßen war die beglückende Erkenntnis, dass meine Beiträge von vielen aufmerksam gelesen und wirklich geschätzt werden.

Es ist toll, so viele Menschen zu erreichen und zu wissen, dass sie ähnlich denken wie ich – und das wiederum ist eine großartige Bestätigung, die mir die Energie gibt, jede Woche etwas Neues zu schreiben.

Claire, eine Kursteilnehmerin aus der Schweiz, schickte mir dieses Bild, und ich freue mich, dass sie mir erlaubt hat, es zu veröffentlichen.

Perfektion ist suspekt
Claires Mail trug den Titel „Perfektion ist suspekt“. Das gefiel mir.
Vielleicht ist es eine gute Faustregel, dachte ich, jeder Art von Perfektion erst einmal zu misstrauen.
Oft sehen wir Perfektion, weil wir sie sehen wollen –  und nicht, weil sie wirklich vorhanden ist.

Und dann fragte ich mich:
Wann und wo ist denn Perfektion vorhanden?
Ich kenne nur ständigen Wandel, Fließen, Erscheinen und Vergehen.
Und dieser Wandel ist vielleicht auf seine Art vollkommen – aber perfekt?
Gibt es in dieser Welt überhaupt so etwas wie Perfektion?
Ist sie nicht per se immer eine Illusion?
Ist nicht jede Art der Perfektion dazu verdammt, früher oder später der Vergänglichkeit anheim zu fallen, zu zerbröseln, zu vergehen? Sich irgendwann in Staub aufzulösen?
Und beginnt diese Auflösung nicht gleich im ersten Moment?

Ich denke da an ein Bild, das vor meinem inneren Auge erschienen, als ich heute einen Artikel über die Revolten anlässlich der Eröffnung der EZB in Frankfurt las. Ich sah dieses riesige, glitzernde – so perfekt erscheinende – Gebäude und nahm gleichzeitig wahr, wie die ersten Gebrauchsspuren auftauchten, nach und nach ein Gewebe von Zerfall bildeten und die stolze Glas- und Metallkonstruktion nach tausend oder zweitausend Jahren in einen Müllhaufen verwandelten.

Philosophisch gestimmt
Ihr seht, ich bin heute etwas philosophisch gestimmt. In zwei Tagen ist Frühlingsanfang und Sonnenfinsternis, und auf der ganzen Welt brodelt es vor Unruhen, Machtspielen und unreifen Vernichtungsstrategien. Da bleibt einem doch nichts anderes übrig, als zu singen, zu philosophieren und der kostbaren Gegenwart zu huldigen, die so leicht übersehen wird, und die für Perfektion keine Zeit hat.

Ja, die Gegenwart hat überhaupt keine Zeit! Da ist kein Raum für Zeit – nur für Zeitlosigkeit und für das, was gerade hier, in diesem Augenblick präsent ist und gespürt, gesehen, gehört, erlebt werden kann.

Die Übung für diese Woche:

Beim Malen ist dieser kostbare Gegenwartsmoment oft wie ein Tor zu unseren tiefsten Ausdrucksbedürfnissen, Flow-Erfahrungen und Seelenfarben. Und vielleicht wäre es eine gute Anregung, diese Woche zu „fasten“, indem wir bewusst immer wieder alles weglassen, was nicht Gegenwart ist – beim Malen, beim Schreiben, beim Leben!

Außerdem habe ich auf meiner Website gerade eine neue Frühlingsmeditation und eine neue Schreibübung gepostet. Schaut sie euch an – vielleicht passen sie gerade in euer Leben! Ich werde sie beide ein Weilchen machen.

Kreative Kompetenz

Woche vier vor Ostern
Auf Perfektion verzichten (auch eine Art zu fasten)


Nachdem ich meinen letzten Post veröffentlicht hatte, meldete sich eine Freundin bei mir, die diesen Blog abonniert hat. „Paro“, sagte sie, „das kannst du nicht machen! Du bist doch Kursleiterin – da kannst du nicht erzählen, wie du manchmal blockiert bist. Das will doch keiner hören. Du musst das alles perfekt beherrschen oder zumindest so tun, sonst kommt keiner mehr in deine Kurse!“

Ich reagierte erstmal unwirsch und schob ihren Einwand beiseite. Doch dann begann ich zu überlegen: Stimmt das wirklich? Brauchen die Leute das Gefühl, jemand sei perfekt, um ihm als Lehrer vertrauen zu können?
Ja, dachte ich, manche brauchen das wohl.

Aber muss mich das kümmern?

BlogXXIm kreativen Prozess geht es nie um Perfektion.

Es geht um die Freude am Risiko und den Mut, alte Regeln zu brechen und Neuland zu betreten.

Es geht um die Lust, ausgetretene Wege zu verlassen und querfeldein zu wandern – auch, wenn man ab und zu mal stolpert und auf die Nase fällt.

Wenn mir meine Lehrerin sagen würde: „Schau, ich stolpere auch noch manchmal – und zwar so und so… und dann stehe ich wieder auf, schüttele den Staub ab und bin etwas weiser geworden. Das kannst du ganz genauso!“, dann würde mir das helfen, meine Ansprüche fallen zu lassen und mich zu trauen, immer wieder neue Grenzen zu überschreiten und „Fehler“ zu machen.

Ich würde lachen und nun doch noch die riesige Kuh oder die goldene Fläche oder die kleine nackte Prinzessin malen, vor denen der innere Kritiker mich so eindringlich warnt.
Was könnte mir schon passieren?

Kreative Kompetenz

Das Streben nach Perfektion erzeugt Anspannung, Ehrgeiz und Angst. Und der Mut zu spielen und zu experimentieren schult unsere kreative Kompetenz.
Ja klar, vielleicht stolpern wir mal und fallen auf die Nase. Aber das haben schon andere vor uns getan – und sie sind wieder aufgestanden und haben gelacht und den Staub abgeschüttelt und weitergemalt.

So würde ich das sehen… und ich denke, meine Leser sehen das auch so! Aber ich kann mich täuschen – und deshalb freue ich mich dieses Mal ganz besonders, von euch zu hören!


Und die Übung für diese Woche

Wir machen eine Anti-Perfektions-Kur und erlauben uns, eine Woche lang beim Malen nach Herzenslust zu experimentieren und zu spielen. Ist ja alles nur ein Abenteuer! Muss ja nichts werden. Ist ja nur ein Experiment!

Und wenn der Innere Kritiker meckert, darf er auch mal ein kleines Bild malen. Mal sehen, was er auf die Reihe kriegt… 🙂