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Lebendigkeit 2

Als ich vorhin über den Oleander gebeugt auf meinem Balkon stand, einen Ast in der Hand, und mit einem blauen Lappen und lauwarmem Wasser die Blätter abwusch, spürte und sah ich plötzlich, dass dies ein Moment voller Zauber war.
Ich sah jedes einzelne Blatt, sah die grauschwarze, von Schildläusen erzeugte Schmiere, ekelte mich aus alter Gewohnheit ein wenig und erlebt dann voller Genugtuung, wie beim Abwaschen das gesund leuchtende, grüne Blatt hervortrat. Es war ruhig unten im Garten, nur das Wasser tropfte beim Abwaschen in die Schüssel, und ich fühlte mich weder ungeduldig noch getrieben, sondern so ruhig wie der Oleander selbst.
Ein kleines Windchen wehte, der Sommer war groß und gleichzeitig, hier auf dem Balkon, ganz klein und ganz intim.

So fühlt es sich also an, dachte ich, wenn man geerdet ist. Wenn man nicht das Gefühl hat, eigentlich irgendwo andershin eilen und irgendetwas anderes, Wichtigeres tun zu müssen, sondern in Frieden mit dem ist, was man gerade tut und wie man sich gerade fühlt.
Mein Blick fiel auf eine weitere Schildlaus an einer Astgabel und ich wischte sie ab, wusch das Tuch in dem lauwarmen Wasser aus und versuchte meiner Freundin Christina, die gerade auf den Balkon getreten war, zu erklären, wie ich mich fühlte. Ja, sagte sie, wie in einem Paralleluniversum, nicht?

So ist es – und beim Malen kenne ich diese Paralleluniversen inzwischen gut. Oder zumindest einige von ihnen. Sie haben verschiedene Energiequalitäten und werden zum Beispiel auch als verschiedene Tempi gespürt – manche fühlen sich schneller an, manche langsam. Und alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus der Quelle kommen, das heißt, dass sie mit unserem Kern, unserem Sein verbunden sind.

In meinen Oleander-Moment merkte ich jedoch, dass mein vorherrschendes, sehr schnelles Lebenstempo eben nicht aus meiner Mitte oder der Quelle kommt, sondern sich irgendwann verselbständigt hat und zu einem Automatismus (fast einer Sucht) geworden ist. Da geht es mir nicht anders als den meisten, die bei meinen Kursen in Intuitivem Malen mitmachen – sie alle brauchen Übungen oder Meditationen, die sie zuerst mit ihrem Kern verbinden, bevor sie beim Malen wieder die Verbundenheit mit dem lebendigen Fließen ihrer Kreativität spüren können, anstatt alte Muster und Gewohnheiten auszuagieren.

Das klingt jetzt vielleicht sehr theoretisch – sind ja nur Worte. Um sie wirklich zu verstehen, müssen wir diese Verbundenheit wieder erleben und gespürt haben. Im Leben und beim kreativen Schaffen. Meditationen und Übungen helfen uns dabei.

 

Hier eine Übung..
..des Schweizer Kunstdozenten und Autoren Thomas Lüchinger, auf dessen wunderbares Buch „Intuitives Malen“ ich mich auch in meinem folgenden Video beziehe.

Die Übung von Thomas Lüchinger:
Wähle irgendeine alltägliche Verrichtung wie Geschirr spülen, Zähneputzen, essen, einen Spaziergang machen …
Versuche nun, diese alltäglichen Dinge halb so rasch wie normalerweise zu tun. Achte darauf, was in dir vor geht. Lasse deine Bewegungen fließen und spiele dabei mit deiner wahrnehmung, als ob du ein fremdes Land besuchen würdest.
Wie fühlen sich die Tätigkeiten an?
Wenn du Dinge langsam verrichtest, hast du Zeit, sie zu genießen, und die Möglichkeit, neue Entdeckungen zu machen. Male in dieser Weise Details.


und das Video von mir: