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Paros Staubfabrik oder Here Comes the Sun

Paros Staubfabrik
Immer Montags kommt Ümmü, meine Putzfrau. Obwohl – Putzfrau ist eigentlich sehr eingeschränkte Bezeichnung für das, was sie in zwei Stunden mit Besen und Wischmop leistet: Sie führt einen unerbittlichen Kampf gegen die mysteriöse Staubfabrik, die irgendwo in meinen Räumen Tag und Nacht Berge von Flusen und Spinnweben erzeugt. Ein stehender Witz zwischen uns beiden:

Ümmü: Paro, sooo viel Staub!
Paro: Ja, die Fabrik hat ihre Produktion wieder gesteigert.

Es tröstet mich, dass es überall diese geheimen Fabriken zu geben scheint: Das weiß ich noch aus der Zeit, als ich selbst ein, zwei Jahre lang Wohnungen geputzt habe. Sie mahlen und rattern still vor sich hin und keiner weiß, wo und wie man sie abstellt. Man muss halt ab und zu putzen…

Gedankenstaub
Aber das ist nicht die einzige Staubfabrik, mit der wir es in unserem Leben zu tun haben. Eine weitere, viel perfidere Staubfabrik scheint sich in unserem Kopf zu befinden. Sie produziert massenhaft nutzlose Gedanken, ob wir es wollen oder nicht.
Gedanken an eine vorgestellte Zukunft, gemischt mit Sorgen, Plänen, Befürchtungen und Hoffnungen.
Gedanken an eine selektiv erinnerte Vergangenheit, gemischt mit Bedauern, Schuldgefühlen, Sehnsüchten und  Groll. Gedanken, die unser Innerstes besiedeln wie der Staub meine Wohnung, und aus denen nie irgendeine entschiedene Aktion entsteht. Dafür sind sie zu vage, zu unklar, zu automatisch, zu unbewusst.
Trotzdem haben sie die Macht, unser Lebensgefühl mit einer Art Grauschleier zu überziehen, der unsere klare Wahrnehmung, unsere innere Freude, unsere Fähigkeit zu positiver Entschiedenheit überdeckt.

Zwei Arten von Denken
In meinem letzten Kurs haben wir darüber gesprochen, dass Denken nicht gleich Denken ist.
– Da ist zum einen der Monkey-Mind, die automatische Staubmaschine, die uns mit ihrem ständigen Rattern alle Energie raubt.
– Und da ist zum anderen unsere klare, mit Bewusstsein und Freundlichkeit gepaarte Denkfähigkeit, die es uns erlaubt, festzustellen, dass wir uns mal wieder der Staubfabrik ausliefern – in der Hoffnung, dabei auf irgendeine Weise Trost, Sicherheit, Geborgenheit zu finden.
Das klare Denken hat aber auch die Größe zu überblicken, dass so etwas halt passiert im Leben – und vielleicht noch öfter passieren wird. So lernen wir mit der Zeit, uns nicht auszuschimpfen und noch mehr anzuspornen, sondern liebevoll zu reagieren: „Du Arme, mal wieder ganz voller Staub! Wie wäre es, einfach mal JA dazu zu sagen – und dann zu sehen, was geschieht?“

Hier eine Übung dazu:

Eine Übung zum Ausprobieren. Jetzt gleich
Wir verabreden uns mit uns selbst zu einer Übung, trauen uns, einen mutigen Sprung zu tun: In diese Gegenwart hinein, egal, was alles noch unerledigt ist. Darum können wir uns später kümmern. Später, mit frischer Kraft und klarem Überblick!

Oder vor dem Malen oder Schreiben
Die Übung ist auch extrem hilfreich vor dem Malen oder Schreiben. Besonders, wenn wir nicht sehr inspiriert sind oder auf eine Mauer aus Unlust stoßen.


Hier die Übung:

Besinne dich auf den gegenwärtigen Moment,
schalte dein inneres Lächeln ein,
das deinen ganzen Körper mit seinem Leuchten erfüllt
wie eine freundliche Sonne.

Wie die Sonne am Himmel, die alles und jeden ohne Unterschied mit ihrem Licht berührt,
umhüllt dein inneres Lächeln das Rattern, die Unruhe, die Grauschleier, die Enge und die Schwere
genauso wie die Freude, die Weite, die Inspiration… alles interessant, alles Energie.

Nichts muss sich ändern!
Du umarmst die Energien, die dir hier und jetzt  zur Verfügung stehen – und nicht die fantasierten Energien, die eigentlich „da sein sollten“.
Du spürst sie, atmest mit ihnen, weckst ihre Lebendigkeit
und malst los mit dem, was du vorfindest.


Oder du holst dein Schreibzeug heraus und übst eine Runde Jetzt-Schreiben!
Schreibst so lange, bis dich dein Schreibfluss einholt.
Würdigst das Wunder dieses gegenwärtigen, einzigen Moments, dieses kostbaren Lebens.

 

Der Sommertag

Wer hat die Welt geschaffen?
Wer hat den Schwan geschaffen, und wer den schwarzen Bären?
Wer hat die Heuschrecke geschaffen?
Diese Heuschrecke, meine ich –
die, die sich aus dem Gras erhoben hat,
die, die Zucker aus meiner Hand frißt,
die ihren Kiefer vor und zurück, statt auf und nieder bewegt –
die sich umschaut mit ihren riesigen, komplizierten Augen.
Jetzt hebt sie ihre blassen Vorderarme
und wäscht sich gründlich ihr Gesicht.
Jetzt klappt sie ihre Flügel auf
und schwebt weg.
Ich weiß nicht genau,
was ein Gebet ist.
Ich weiß nur, wie man aufmerksam ist,
wie man hinfällt
ins Gras hinein, wie man sich im Gras niederkniet,
wie man müßig und gesegnet ist, wie man durch die Felder streunt,
denn das ist es, was ich den ganzen Tag lang getan habe.
Sage mir, was hätte ich sonst tun sollen?
Stirbt nicht alles zu guter Letzt, und viel zu schnell?
Sage mir, was hast Du vor
mit Deinem einen, wilden, kostbaren Leben?

Mary Oliver