Weißbrot nach dem Augenmaß

Liebe Leserinnen und Leser,

als geborene Einsiedlerin habe ich mich ziemlich schnell in der vorübergehenden Isolation eingerichtet. Ich habe gerade mehr zu tun, zu lesen, zu lernen als je zuvor, und kann es natürlich auch nicht lassen, regelmäßig in meinen bevorzugten Online-Zeitungen zu verfolgen, was rund um das Corona-Virus und seine Auswirkungen in der Welt los ist.

Zusätzlich erreichen mich aufmunternde Filmchen, Links zu meistens großartigen Artikeln, und so viele Gratis-Webinars und Vorträge von weisen Lehrern und Lehrerinnen, dass es schier unmöglich ist, eine stimmige Auswahl zu treffen.

Dann stand es an, einen eigenen neuen Blogbeitrag zu verfassen und ich dachte: Muss ich dieser Flut wirklich noch etwas hinzufügen?

Doch warum eigentlich nicht? Ihr seid sicher genauso wie ich am Sortieren und Auswählen, und es könnte ja sein, dass meine Beiträge und Vorschläge für einige genau das Richtige sind!

Mein diesmaliger Newsletter hat den Titel „Care-Paket für Kreative und LebenskünstlerInnen und auch dieser und meine nächsten Blogbeiträge sollen kleine Care-Pakete sein: Virtuelle Päckchen mit Reflektionen, Anregungen, Übungen, Meditationen und was immer sonst gerade mitgeschickt werden möchte an euch.

Ich werde in dieser spannenden Zeit etwas öfter schreiben, wahrscheinlich alle 2 Wochen.
Und wenn ihr Wünsche oder Fragen habt, schickt mir eine EMail!
Dann kann ich die Antworten, die gerade passen, zukünftig hier einbeziehen.

Ressourcen für außergewöhnliche Zeiten

Da es jetzt nicht, wie viele hoffen, darum geht, brav stillzuhalten, bis alles wieder „normal“ wird (was eh nie passiert in diesem wandlungsvollen Leben), üben wir lieber, uns auf das gegenwärtig ziemlich unsichere Lebensgefühl einzulassen. Weil es eben das ist, was wir gerade haben, und weil wir als Kreative sowieso schon üben, genau auf das einzugehen, was gerade auftaucht.

Und so frage ich mich: Was kann mir und uns allen helfen, uns noch entschiedener mit dem Nichtwissen und der Unsicherheit anzufreunden?
Denn diese beiden Gegebenheiten sind in der Kreativität schließlich unsere größten Freunde. Jetzt können wir sehen, wie gut uns diese Freundschaft auch im Leben trägt, und wie wir sie vertiefen und stärken können.

Genauer gefragt: Welche Ressourcen benötigen wir, um uns auf diesem Weg des  Nichtwissens und der Unsicherheit zurechzufinden? Um uns nicht verloren, sondern angeregt und neugierig zu fühlen?

– Das Innere Kind fällt mir ein, das völlig fremd in eine unverständliche Welt fällt und sich dort nicht nur zurechtfinden muss, sondern spielen, tanzen, lieben, blühen möchte – und sollte. Wie lade ich es ein, auch diese eher außergewöhliche Gegenwart mit seiner Neugier, seiner Courage und seiner Lebensfreude zu erfüllen?

– Viele sind zur Zeit eher mit der Schattenseite des lebendigen, kreativen Kindes konfrontiert – den Ängsten, der Panik, dem unterschwelligen Gefühl von Auflösung oder Bedrohung (bei mir tauchen sie meistens nachts auf). Das Schattenkind entsteht unter anderem, wenn wir in unserer Kindheit ohne – oder mit zu wenig – Sicherheit klarkommen mussten. Solange wir solche Energien verdrängen, spüren wir sie eher unterschwellig als mulmige Bedrückung und tiefe Anspannung. Doch wir können üben, uns nicht von den Ängsten des Kindes überwältigen zu lassen, sondern ihm (und damit uns selbst und allen anderen Kindern auf der Welt) Halt und Liebe zu geben. Dann beginnen wir auch die heilsame schöpferische Kraft des Kindes wieder in uns zu spüren und können sie malend, zeichnend, spielend ausdrücken.

– Außerdem: Vergesst nicht den inneren Kompass, der uns stets in die Gegenwart bringt, wo der „nächste stimmige Schritt“ klar erkennbar wird. Diesen Kompass – unser Bauchgefühl – sollten wir in einer Zeit, in der der vor uns liegende Weg (wie beim Malen) oft nicht klar erkennbar ist und auch keine Landkarte existiert, öfters aus der Tasche ziehen: Auch dazu möchte ich nach und nach einige Übungen anbieten.

– Und als Letztes: Was baut uns auf? Was nährt uns? Welche klare und gleichzeitig flexible Ordnung kann uns helfen, uns jeden Tag aufs Neue in unserer Mitte einzufinden, an der Quelle, an der wir ganz bei uns und gleichzeitig mit allem verbunden sind?

 

Diesen Fragen und Ressourcen möchte ich mich in den nächsten Blogbeiträgen widmen.

 

Die erste Ressource:
Weißbrot nach dem Augenmaß

In Zeiten der Wandlung, Auflösung und Neuordnung hilft es mir sehr, ein neues inneres Narrativ zu finden – eine passende Geschichte oder ein inneres Bild, das meinen inneren und äußeren Zustand in eine größere Perspektive setzt.
Wenn es euch so geht wie mir, habt ihr vielleicht schon euer heilendes Märchen oder Bild entdeckt. Ich freue mich, davon zu hören! Es kann ja sein, dass ich schon in der nächsten Woche ein neues, tragendes Narrativ brauche – die Wandlung ist gerade ziemlich beschleunigt, findet ihr nicht auch? Und da kann man gar nicht genügend Gedichte, Musik und heilende Worte in seinem Ränzl haben, als Ressourcen, die das starre Denken in die heilsame Wildnis schicken.

Hier das Gedicht, das mich gerade inspiriert:


Legende von der Entstehung des Buches Taoteking

auf dem Weg des Laotse in die Emigration

Bertolt Brecht

Als 70 war und war gebrechlich
drängte es den Lehrer doch nach Ruh
denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.

Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er immer abends rauchte
und das Büchlein, dass er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.

Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es
als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.

Doch am vierten Tag im Felsgesteine
hat ein Zöllner ihnen den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“
Und so war auch das erklärt.

Doch der Mann in einer heitren Regung
fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
Sprach der Knabe: „Dass das weiche Wasser in Bewegung
mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, dass Harte unterliegt.“

Dass er nicht das letzte Tageslicht verlöre
trieb der Knabe nun den Ochsen an
und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre
da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
Und er schrie: „He du! Halt an!

Was ist das mit dem Wasser, Alter?“
Hielt der Alte: „Interessiert es dich?“
Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter
doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
Wenn du’s weißt dann sprich!

Schreib mir‘s auf! Diktier es diesem Kinde!
Sowas nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt‘s doch Papier bei uns und Tinte
und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?“

Über seine Schulter sah der Alte
auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzige Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?“

Eine höfliche Bitte abzuschlagen
war der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: „Die etwas fragen
die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“
„Gut, ein kleiner Aufenthalt.“

Und von seinem Ochsen stieg der Weise
7 Tage schrieben sie zu zweit
und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
mit den Schmugglern in der ganzen Zeit)
Und dann war’s soweit.

Und dem Zöllner händigte der Knabe
eines Morgens 81 Sprüche ein.
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: kann man höflicher sein?

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
dessen Name auf dem Buche prangt!
Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

 

… aus diesem Gedicht stammt auch der Titel dieses Beitrags – und meine Absicht, in diesem und den folgenden Beiträgen verschiedene Ressourcen vorzustellen. Zum Beispiel „das Büchlein, das ich täglich lese“ (ich möchte in lockerer Folge Bücher vorstellen, die mich in spirieren), und Gedichte, Texte, Anregungen und übungen.
Hier eine Notfallübung für das Schattenkind:


Die zweite Ressource:

Eine Übung für Schattenkinder bei Angst und Dämonen

 

Bei mir kommen die Ängste und Dämonen meistens nachts, und meiner Erfahrung nach begegnet man ihnen am besten mit Liebe – Liebe zu einem selbst, und zu dem, was gerade passiert und wie es sich anfühlt. Die folgende Übung hat mir (und vielen anderen) immer wieder geholfen, den inneren Kampf zu beenden und zur Ruhe zu kommen.

Falls ihr sie ausprobieren mögt – hier ist eine Audiodatei, die euch durch die Übung führt:

 

Das obige Bild habe ich für ein neues kleines Buch mit Meditationen und Übungen gemalt, das ich bis zum Sommer als e-Book herausgeben möchte. Ihr werdet erfahren, wenn es fertig ist!

 

In meinen nächsten Blog-Beiträgen werde ich weitere Ressourcen vorstellen – solche, die mich gerade anregen, oder die mir und den Leuten in meinen Kursen und Sitzungen geholfen haben. Vielleicht passt die eine oder andere ja auch für euch. Und falls ihr spezielle Wünsche habt, schickt mir bitte eine Mail!