Wegen Überfüllung geschlossen

Die dritte Rauhnacht
Schon nach drei Tagen mit Ritualen, Orakeln, Tarotkarten und Krafttieren wurde ich der Sache überdrüssig. So viele Informationen, so viel Bedeutung, soviel Zukunft! Eine Art geistiger Verstopfung stellte sich ein, und als ich mich abends noch eine Weile an mein Bild setzte, fühlte ich mich wie nach einer überreichen Mahlzeit.
„Zu viel Fülle“, sagte ich mir, „ zu viele Ideen, Vorstellungen, Pläne. Die Tasse will geleert werden, sonst passt nichts Neues mehr rein!“ Und ich genoss es wie selten, mich zurück in die Einfachheit zu begeben, die beim Malen notwendig ist.

Die vierte Rauhnacht
Heute Morgen packte ich die ganzen Karten weg, stellte die Bücher über die Rauhnächte ins Regal (ich kann sie ja wieder vorholen), setzte mich auf mein Meditationskissen und beobachtete die Überfüllung in meinem Geist. 50.000 Äffchen, die umhersprangen und sich wichtig taten, 50.000 Gedanken, die sich in den Vordergrund drängten und von mir beachtet werden wollten… und ich dankte allen meinen Lehrern und Lehrerinnen, die mich immer wieder freundlich ermahnt haben, meine Meditationspraxis ernst zu nehmen.

Als nach einer Weile Ruhe einkehrte, hörte ich die Worte „Weißbrot nach dem Augenmaß“ aus dem Gedicht von Bert Brecht über Lao Tzu auf dem Weg in die Emigration: Was der Weise mitnahm, war wenig – seine Pfeife, ein Büchlein und Weißbrot als Wegzehrung. Hier der Anfang des Gedichtes:

Als er siebzig war und war gebrechlich
drängte es den Lehrer doch nach Ruh
denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu
und er gürtete die Schuh.

Und er packte ein, was er so brauchte:
wenig, doch es wurde dies und das
So die Pfeife, die er abends immer rauchte
und das Büchlein, das er immmer las
Weißbrot nach dem Augenmaß

(Wer gerne das ganze Gedichte lesen möchte, findet es hier als PDF: Brecht_LaoTzu)

Darauf will ich mich jetzt auch reduzieren, dachte ich, nur auf das, was wirklich nötig ist!
Ich bin mir sicher, ihr kennt das auch: Wir sammeln nach und nach die verschiedensten Dinge, Verpflichtungen, Ideen und Pläne an, und haben dann irgendwann ein starkes Bedürfnis nach Leere und Raum.
Zeit, die Tasse zu leeren und mit dem zu verweilen, was wirklich gerade da ist.
Der Atem.
Die gegenwärtigen Empfindungen und Gefühle.
Der erste kleine, stimmige Strich beim Malen.
Und manchmal auch gar nichts. Die Leere – Raum, um Neues zu empfangen.
Und irgendwann auch wieder Fülle.

Festhalten und Loslassen.
Ebbe und Flut.

Diesem natürlichen An- und Abschwellen widme ich meine heutige Rauhnacht – und wünsche mir und euch, dass es uns immer wieder leicht fällt, die Tasse zu leeren, wenn sie voll ist, und es einen Moment lang zu wagen, uns dem Nichts anzuvertrauen.

We must be willing to get rid of the life we’ve planned,
so as to have the life that is waiting for us.

Joseph Campbell