kreativ schreiben: eine Gardinenpredigt

Was ich an meiner Arbeit als Vermittlerin kreative Prozesse besonders liebe, ist die Tatsache, dass dass wir – was Kreativität angeht – alle gleich beschenkt sind. Das ist, als warte in jedem von uns der gleiche Schatz darauf, entdeckt zu werden. Alles ist schon da. Wir müssen es „nur“ freilegen. So erlebe ich es bei mir selbst, und so erlebe ich es bei meinen Kursteilnehmern.

Die alten Blockaden und Missverständnisse, die dabei zu Tage treten, wollen einfach geduldig aufgedröselt werden. Und Geduld habe ich massenweise. Doch manchmal kommt es vor, dass mir der Kragen platzt. Und dann schicke ich einer Schülerin eine Mail, die man eher als Gardinenpredigt bezeichnen könnte… und erlebe anschließend, dass es genau der richtige Impuls war!

Mir ist klar, dass wir alle manchmal eine richtig saftige Gardinenpredigt brauchen, um uns endlich zu trauen, aus unseren eingefahrenen Gleisen auszubrechen und den weiten Raum einzunehmen, der schon so lange auf uns wartet. Deshalb möchte ich die Mail hier mit euch teilen.

Und alle, die immer schon mal schreiben wollten und nicht in die Gänge kommen, lade ich zu meinen Schreibferien oder Einzelsitzungen ein. Ich habe sie gerade neu strukturiert (Feedback willkommen)! Und nun die Mail:

Liebe Schreibfreundin,

Manchmal habe ich das Gefühl, du möchtest eine bestimmte Sache nicht sehen:
Schreiben hat immer und für jeden damit zu tun, Dinge zu versuchen, zu verwerfen, neu zu versuchen, zu verändern, zu polieren, nochmal von vorne anzufangen, weiter zu spielen und zu ringen, bis man zufrieden ist.
Das ist bei mir so, das ist bei 95 % der großen, berühmten Autoren immer noch so, und das ist eben auch bei dir so…
Ich glaube, du möchtest immer eine Sondergenehmigung: Sofort perfekte Texte schreiben.
Alles andere lässt du nicht gelten. Im Gegenteil, du nimmst es als Beweis, dass mit dir was nicht stimmt.

Liebe Schreibfreundin, du bist eben doch nur ein normaler Mensch, wie Thomas Mann, Rafik Shami, Ulla Hahn, Paro Bolam und viele andere, die sich dem Schreiben verschrieben haben. Meinst du etwa, ich müsste nicht ständig Sachen überarbeiten, verändern, verbessern und manche auch nach einer Weile beiseite legen?
Wenn ich das als Beweis nehmen würde, dass Schreiben nichts für mich ist, hätte ich nie ein Buch auf die Reihe bekommen.

Ich glaube, diese Liebe zur massiven Selbstkritik in Bezug auf das Schreiben musst du leider langsam loslassen, abgeben, hinter dir lassen. Du musst irgendwann beginnen, auf sie zu verzichten. Alles andere kannst du gut und machst du gut (so, wie ein „normaler Sterblicher“ das eben macht beim Schreiben…). Der einzige Punkt, wo es immer wieder hakt,… Aber das habe ich ja gerade eben erklärt, und ich muss nicht länger darauf herumreiten!

Wir müssen irgendwann beginnen, uns in unserer Unvollkommenheit anzunehmen, sogar zu lieben. Versteh doch: es ist nicht so, dass ich im Bezug auf dich „immer noch die Hoffnung nicht aufgebe“, sondern dass ich eben aus eigener Erfahrung weiß, dass es beim Schreiben auf und ab geht. Mit Hoffnung hat das nichts zu tun.
Wir schreiben, wie wir meditieren: mit wachsender Liebe zu dem, was uns begegnet. Was immer das auch sein mag.
Mit Liebe zum Leben in seiner Unvollkommenheit, und mit Liebe zu uns selbst in unserer Unvollkommenheit. Das ist es, was wir am Anfang brauchen, was wir am Ende brauchen – und wir brauchen es auch zwischendurch. Das hört nie auf.