Tiny Beautiful Things

Vor drei Tagen erhielt ich von einer Kursteilnehmerin diese Mail:

Du schreibst von deinem faulsein im letzten blog und das so ganz ohne frust oder ärger. Der stellt sich bei mir nämlich laufend ein, wenn ich es mal wieder nicht schaffe, den pinsel in die hand zu nehmen. Es ist nicht mal so, dass ich sehr unzufrieden nach dem malen bin und mich deshalb ums malen drücke.
An der verfügbaren zeit kann es auch nicht liegen, die habe ich – und es einfach so lassen und mir sagen, die situation ist perfekt wie sie ist, kann ich schon garnicht.
Das regt eher auf.
Ist es besser auf den malimpuls zu warten, oder besser, sich einen termin im kalender eintragen ? Oder kommt dann ein mechanismus ins spiel, der die Kreativität hemmt? Was meinst du?
Diese unzufriedenheit verfolgt mich schon seit längerem, und ich bin gespannt, was du dazu sagst.

SummerSchreibIch höre gerade ein wunderbares Hörbuch von Cheryl Strayed, die auch WILD, geschrieben hat, einen Bericht über ihre monatelange Wanderung in der Bergwildnis der USA (wurde auch verfilmt).

Das Hörbuch von ihr, das ich gerade liebe, heißt Tiny Beautiful Things und Cheryl Strayed liest es selbst vor.
Es enthält Antworten aus ihrer Zeit als Briefkastentante einer Zeitschrift, und ist natürlich auch als gedrucktes Buch erhältlich. Ich empfehle es aus ganzem Herzen!

Heute sehe ich nun meine Chance, selbst einmal Briefkastentante zu spielen und auf die Frage einzugehen, die mir immer wieder gestellt wird: Was hält mich davon ab zu malen, wenn ich eigentlich gerne malen möchte, Zeit habe und weiß, es tut mir gut?

Meine Antwort:

1) Wenn wir etwas gerne tun und Zeit (bezw. Geld) dafür haben, tun wir es auch.
Kaffeetrinken mit der Freundin.
Einen Spaziergang am See machen.
In die Sauna gehen.
In Urlaub fahren…

2) Wenn wir etwas gerne tun, uns aber davor drücken, gibt es immer einen Grund. Manchmal kennen und akzeptieren wir den Grund: Ich gehe zum Beispiel nicht mehr in die Sauna, weil mein Blutdruck dann verrückt spielt. Nichts, worüber ich lange grübeln müsste.
Manchmal ist uns der tiefere Grund aber nicht bewusst. Beim Malen zum Beispiel. Da verstehen wir oft nicht, was das Ganze so schwer macht.

3) Hier ein paar tiefere Gründe, warum ich nicht malte, obwohl ich es wollte – Gründe, die mir lange nicht bewusst waren:

Ich fühlte mich einsam. (Ich fühlte mich auch sonst manchmal einsam, aber dann lenkte ich mich ab. Beim Malen können wir uns nicht ablenken, dann wird das nichts).

Ich spürte plötzlich meine Unruhe (Ungeduld, Leere, Angst usw.), die ich sonst prima verdränge. Beim Malen kann ich nicht so gut verdrängen.

Ich war von Ansprüchen geplagt (Kunst machen, frei sein, keine Kunst machen, im Fluss sein, Spaß haben…). Ansprüche beim Malen fühlen sich total unangenehm an, und ich will mich nicht unangenehm fühlen!

4) Dazu kommt: Jedes Mal, wenn ich malen will und es dann nicht tue, verstärke ich die negativen Assoziationen rund um das Malen! Und jedes Mal, wenn ich dann auch noch sage, Ich will ja malen, aber irgendwie tue ich es dann doch nicht…, verstärke ich die negativen Assoziationen rund um das Malen noch viel mehr.
Ich verstärke die Spur im Gehirn, die sagt: Du willst zwar malen, aber du kannst es nicht / nicht alleine. Und diese Spur prägt meine Realität.
(s. die Erkenntnisse über die Neuroplastizität des Gehirns, z.B. in dem Buch von Rick Hanson “Just One Thing”).


Nun die Kur:

Du brauchst nicht nach den negativen Assoziationen zu suchen. Das wird viel zu kompliziert. Lege lieber neue, positive Spuren.

Wie?

Mache einen festen Termin mit dir aus, an dem du malen wirst. Etwa 1/2 Stunde wäre gut.
Wähle einen Termin, der ein paar Tage entfernt liegt.
– Nun mache jeden Tag vor dem Termin die folgende schöne Übung (am besten gleich morgens nach dem Aufwachen, da vergisst du es nicht, und bist auch entspannt). Sie dauert nur 5-7 Minuten:

– Stell dir vor, du gehst an deinen Malplatz. Atme. Spüre, wie einfach und schön das ist.

– Stell dir vor, du nimmst dir ein Blatt Papier (oder das Bild an dem du malst) und legst es bereit / hängst es auf. Atmen. Hinspüren. Einfach. Schön. Oder?

– Stell dir vor, du holst dir eine Farbe oder deine Palette. Ganz viel Zeit! Atmen! Spüre, wie einfach das ist.

– Berühre das Blatt mit den Händen. Schließe in der Fantasie die Augen. Atme. Spüre. Genieße.

– Genieße in der Vorstellung den Moment. Genieße deinen Malplatz. Dann sprühe deine Palette ein, damit die Farben nicht eintrocknen und decke sie mit Folie ab. Das war erstmal genug.

– Mach diese Übung auch an dem Tag, an dem du deinen Maltermin gemacht hast.

Wenn dann die Tageszeit zum Malen gekommen ist, tue dieselben Dinge wie in deiner Vorstellung – nur in der Realität.

Und zwinge dich zu nichts: Du darfst nach jedem Punkt die Farben abdecken und aufhören. Bewusst deinen Erfolg genießen!

Mache zum Schluss gleich den nächsten Maltermin.
Dann mache bis dahin wieder täglich die Vorstellungs-Übung.
Wenn du willst, kannst du in der Vorstellung auch weitergehen und anfangen zu malen.
Aber nur, wenn es dich danach drängt, wenn es Freude macht.

Und wenn der reale Termin da ist, verfahre wieder wie beim letzten Mal. Gehe so weit, wie Ers Freude macht. Dann höre auf, mache Notizen, genieße deinen Erfolg.

Die Wirkung:

Du kannst dir sicher sein, dass du auf diese Weise neue, positive Spuren legst, die es dir immer leichter machen, deine eigenen Malsitzungen durchzuführen.

Und ein wichtiger Hinweis:

Sage nie wieder: „Ich will ja malen, aber dann tue ich es nicht.“
Sondern etwas wie: „Ich freue mich schon auf meine kreative halbe Stunde! Da passieren die tollsten Sachen!“


Und:
Schreibt mir, wie es für euch funktioniert, und welche Fragen auftauchen!