Archives for Mai 2015

Mein Pferd ist besser als deins!

Der zweite Drache kommt zu Wort

Eigentlich hatte ich nicht vor, auch noch den zweiten und dritten Drachen vorzustellen. Einer reicht, dachte ich, als ich den letzten Beitrag über den Bedeutungsdrachen gepostet hatte, dann wollen die Leute wieder was anderes lesen. Doch die Leute – jedenfalls einige meiner Leser – meldeten sich und wollten mehr. Tja, da sieht man mal, wie man sich täuschen kann!
Und weil ich gerne den Wünschen meiner Leser entgegenkomme, stelle ich heute den Kontrolldrachen vor.

Jeder kennt ihn, beim Malen und im Leben, und sogar Picasso lässt sich über die penetrante Stimme aus, die ihm vorzuschreiben versucht, wie er den nächsten Strich machen soll. „Dann wird der Pinsel bleischwer“, beschreibt er solche Momente…

Der Kontrolldrache treibt sich bevorzugt in Malräumen und Ateliers herum – so kommt es uns Malern jedenfalls oft vor. Dort beurteilt er jeden noch so kleinen Strich, jede Farbe, jeden Ausdruck.
Er vergleicht unser Bild mit denen der anderen Kurteilnehmer, mit den Werken berühmter Künstler, mit unseren eigenen Vorstellungen von Perfektion (die eigentlich seine Vorstellungen sind!). Er hat zu allem eine Meinung und weiß, wie ein gutes, richtige Bild aussieht: Nicht so wie das, was wir gerade malen!

Kontroll

 

 

 

 

 

 

 

Der Kontrolldrache in Aktion

„Das kannst du nicht machen“, sagt er, als ich gerade eine von blaugrünen Strahlen umkränzte Frau gemalt habe und jetzt dringend eine rosa Blüte darunter malen will, weil es sich so stimmig anfühlt.

„Rosa ist zu stark, und so eine Blüte sieht aus wie ein Lotos, das ist platt und esoterisch. Mach lieber was Unerwartetes, was Dunkelblaues.“
Ich zögere. Hat er vielleicht Recht?
(Das schafft er immer wieder: Uns das Gefühl zu geben, unser erster Impuls sei zu platt, banal, zu hässlich oder zu hübsch, nicht in Balance oder zu balanciert und ausgeglichen,  zu brav oder zu wild, zu irgendwas.. Und wir schwanken, verlieren unsere Sicherheit und beginnen auf ihn zu hören).
Meistens merke ich aber schnell, was passiert, und so traue mich trotz seiner Ermahnungen, die rosa Blüte zu malen. Er findet sie natürlich zu groß.

Es braucht Mut, sich davon nicht beeinflussen zu lassen.
Mut zur eigenen Wahrnehmung. Mut zu dem, was direkt aus der Quelle kommt,
was wach macht, was das Herz weckt, was zum Lächeln bringt.

Als die rosa Blüte enstanden ist, taucht der starke Wunsch nach Orange auf – und ich gebe ihm nach, obwohl der Drache mir dringend dazu rät, eine neutralere Farbe zu verwenden.

Bild 1Bild 2Bild 3

 

 

 

 

 

Der Kontrolldrache ist entsetzt. „Totale Imbalance“, sagt er, „das musst du jetzt  alles ausgleichen! Und auch noch so schrecklich ausgeführt. So unbeholfen und brav! Fang am besten ein neues Bild an, dieses ist komplett verhunzt!“

Ich lasse ihn reden und denke voller Freude an die nächste Malsitzung: Tatsächlich habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen könnte.
Das Bild besteht aus Widersprüchen, das ist spannend und dynamisch. Aber es ruft auch nach einem ganz spezifischen Ausdruck, und ich weiß noch nicht, wonach genau.

Da ich die Anregungen des Kontrolldrachen garantiert nicht beherzigen werde (alles, was er vorschlägt, bringt mich zum Gähnen), bleibt mir gar nichts anderes übrig, als zu vertrauen, dass meine Lust, meine Malfreude, meine Intuition zu mir sprechen werden, wenn es soweit ist.

Und das tun sie immer – ich muss nur lauschen!

Zum Abschluss ein Ausschnitt aus der Mail einer Kursteilnehmerin, Manuela:
Ich war vor kurzer Zeit auf einem „normalen“ Maltag. Also auf Leinwand und mit dem Thema: „Rost“
Sonst bin ich immer unsicher, neue Leute, neue Herausforderungen, bessere Teilnehmer…
Dieses Mal spürte ich die Lust am einfachen Malen, einfach drauflos, was entsteht?, was ergibt sich? Es war unwichtig, ob die anderen besser malen.
War eine neue Erfahrung und ließ mich spüren, dass wieder ein Schritt zu mir getan ist. Pure Freude.

Das wünsch ich uns allen, mehr und mehr!

Darf ein Pferd ein Pferd sein?

Über die drei Drachen von Michele Cassou

Heute erhielt ich die Mail einer Kursteilnehmerin, in der sie mich bittet, ein paar Fragen zu beantworten, die zuhause beim Malen aufgetaucht sind. Sie schreibt unter anderem:

Seit dem Kurs im Februar bin ich in meiner Freizeit am Malen oder ich lese in deinem Buch oder dem Buch Point Zero von Michele Cassou, das du übersetzt hast. Ich finde es eine wunderbare Art, sich wahrzunehmen.
Wo ich mental immer wieder drüber stolpere ist: Ich will ja nicht auf den Bedeutungsdrachen hereinfallen. Das heißt, wenn ich male und es sieht wie ein Pferd aus, habe ich dann allein dadurch schon wieder eine Bedeutung reingelegt oder nicht? Ich bin mir nicht sicher. Und so entstehen gerade Fantasiebilder, die ich mich nicht traue zu erkennen. Kannst du mir da weiterhelfen?

Kleine Drachenkunde

Um zu erklären, wie Blockaden beim Malen entstehen und wie man sie lösen kann, nutzt meine Lehrerin Michele Cassou gerne das Bild von den drei Drachen. Jeder dieser Drachen steht für eine Möglichkeit, wie wir uns selbst beim Malen behindern, unter Druck setzen, verirren, und dadurch aus dem Fluss kommen.

DrachenDer Bedeutungsdrache ist derjenigen, der uns dazu verführt, in den Formen oder Gestalten auf unserem Bild eine bestimmte Bedeutung zu erkennen und uns dadurch einzuschränken.

Ich bin Expertin für den Bedeutungsdrachen – er sitzt beim Malen immer neben mir und erklärt mir die symbolische, psychologische, spirituelle, politische und gesundheitliche Bedeutung der Formen und Zusammenhänge, die auf meinem Bild entstehen.
Das ist eigentlich sehr schön! Ich liebe es, wenn beim Malen ein Sinn entsteht, ein tieferer Zusammenhang, der auch mein Leben, meine Entwicklung, meine Gefühle spiegelt. Und so soll es auch sein!

Wenn wir uns wirklich auf den Malprozess einlassen, wird – und soll – uns das zutiefst berühren, erheitern, informieren und in einen größeren Sinn einladen. Kreativität und Kunst sind erst wirklich lebendig, wenn sie das tun.

Und wo liegt dann das Problem mit dem Bedeutungsdrachen?

Missverständnisse klären

Wenn beim Malen ein tieferer Sinn entsteht und uns berührt, dann sind wir komplett in der Gegenwart, aus einem Stück. Unser Herz ist mit dabei und alle Sinne sind eingeschaltet.

Wir malen ein Pferd aus dem Moment heraus, frei und lebendig, und erleben, wie dieses Pferd beim Gemaltwerden seine ganz eigene Form und Bedeutung erhält. Wir sind bezaubert.

Doch dann kommt nur zu gerne der Bedeutungsdrache daher und sagt zum Beispiel:
„Ja, das ist das Pferd, das dir damals, als du klein warst, so unglaublich riesig vorkam! Weißt du noch, wie erschüttert du warst?
Und jetzt malst du es hier, und bist wieder genauso erschüttert! Das hat damit zu tun, dass das Pferd so groß war, und du so klein…  Und jetzt fühlst du dich doch gerade wieder so genauso klein, in deiner neuen Beziehung.
Das Pferd steht natürlich für deinen neuen Freund und  dieser kleine Punkt, den du daneben gemalt hast, das bist du.
So klein willst du ja wohl nicht bleiben. Du willst ja wohl genauso groß werden wie er, auf Augenhöhe mit ihm sein. Da musst du diesen Punkt mal größer malen. Oder du malst dich selbst dahin, groß und strahlend, wie du ja in Wirklichkeit bist. Dann wird das ein Heilungsbild!“

oder:

„Siehst du, das macht dich traurig. Da passen jetzt dunkle Farben, vielleicht dunkelblau. Oder ein paar Tränen?“

Und so weiter, und so fort…

BirdDas ist es, was der Bedeutungsdrache macht: Er liefert eine Interpretation für unseren Ausdruck und unsere Erfahrung – und bringt uns damit in den Kopf.

Weg vom Fühlen, weg vom Sinn, weg vom Erfahren.

Wir haben verstanden, was unser Bild bedeutet und können jetzt planen, wie es weitergeht. Wir müssen nicht länger präsent, wach, offen sein. Der Kopf hat die Zügel in der Hand. Der Bedeutungsdrache sagt uns, was wir als nächstes tun sollen.

Und es ist ja nicht so, als ob er nicht recht hätte!
Die Bedeutung, die er uns erklärt, IST ja da. Doch sie macht nur einen minimalen Teil dessen aus, was der Malprozess gerade alles in uns anrührt.

Beim Malen sind wir multidimensional, riesengroß, alles von uns ist dabei – jedenfalls wenn wir uns trauen, unser Fühlen und Spüren einzubeziehen und unsere ganze innere Wunderwelt sprechen zu lassen. Jetzt. Mit großer Offenheit für alles, was in den Ausdruck drängt. Und diese Weite verlassen wir, wenn wir uns auf die Vorstellungen und Konzepte des Bedeutungsdrachen verlassen.

Danke, das genügt!

Wie aber nehmen wir dem Bedeutungsdrachen die Macht, uns zu manipulieren und den Malprozess kopfgesteuert, flach und gefühllos zu machen?

Wir danken ihm kurz für seine Einsichten und wunderbaren Interpretationen,
schließen dann einen Moment die Augen,
atmen ein paarmal tief durch,
gehen wieder in Kontakt mit unserem Herzen, unserem Bauch, unserer Intuition –
und malen weiter, ohne uns länger um die gerade erkannte Bedeutung zu scheren. Neue werden kommen, spannender als alles, was wir planen können!

Nur so haben unser Herz und unsere Seele die Freiheit, wieder aus dem Wunderbaren zu schöpfen, Unbekanntes zu erleben und neue Erkenntnisse und Bedeutungen einzuladen, auf die wir mit dem Kopf nie gekommen wären (und die wir ebenfalls ausdrücken und interpretieren und gleich wieder loslassen dürfen…).