Kennst du das auch?

… Und hier gleich eine Antwort auf meinen letzten Beitrag: Renate aus Gütersloh schickte mir eben diesen Text. Sie hat ihn vor ein paar Wochen geschrieben und findet, er behandelt eigentlich dasselbe wie mein Bericht aus Lindau, nur in anderer Form. Ja, das sehe ich auch so!

Kennst du das auch?

Langsam, ganz langsam schleicht er sich an. Du siehst ihn noch nicht, aber du spürst schon seine Kälte. Tage vorher schon.
Und dann eines Morgens – du liegst noch im Bett – klopft er an deine Tür, schaut durchs Fenster.
Der Nebel.
Du willst dich verstecken, hast aber keine Wahl, mußt aufstehen, mußt hinaus, du mußt deine Arbeit erledigen.
Draußen empfängt dich der Nebel mit seinen kalten, nassen Armen, haucht dir seinen eisigen Atem ins Gesicht. Er kriecht durch jede Pore deines Körpers in dich hinein, durchdringt dich mit seiner eisig kalten Nässe.
Er lähmt dich, du fühlst dich bewegungsunfähig. Du kannst deine Umgebung nicht mehr wahrnehmen, so dicht ist er. Vor dir, hinter dir, neben dir ist nichts zu sehen. Dir scheint, als wärst du das einzige Lebewesen auf diesem Planeten.
Dir kommt ein Gedicht in den Sinn: „Seltsam im Nebel zu wandern….keiner sieht den andern…..jeder ist allein.“
Ja, allein. Du fühlst dich unendlich allein. Abgeschieden von allem. Dein Herz zieht sich vor Schmerz zusammen. In diesem undurchsichtigen Nebel stellst du fest, daß du nur noch dich selbst siehst, daß du mit dir selbst allein bist.
Du bist dir jetzt der Nächste.
Du bleibst stehen, gehst keinen Schritt mehr weiter, hockst dich auf den Boden, schlingst die Arme um deinen Körper und ziehst dich in dich selbst zurück. So, wie die Pflanzen es machen, um den Winter zu überstehen.
Dir scheint, du fällst. Immer schneller. In unendliche Tiefen. Es will nicht aufhören. Du läßt es geschehen, kämpfst nicht dagegen an. Die Zeit scheint stillzustehen.

Dann plötzlich ist dir so, als würdest du im Fallen die Sterne umarmen. Oder umarmen sie dich? Und einer dieser Sterne wird hell und heller. Er strahlt so hell, daß du blinzeln mußt.
Es ist die Sonne, die mit ihren Strahlen den Nebel durchbricht.
Du stehst auf, atmest ganz tief ein und aus. Du beobachtest, wie sich der Nebel langsam lichtet.
Und wie er eine verzauberte Landschaft hinterläßt. Jedes Blatt, jeder Grashalm, jede Blüte ist mit goldenen Tautropfen überzogen. Auch du bist mit dem lebenspendendem Wasser in Tropfenform bedeckt. Du fühlst dich frisch und erneuert.
Und dann denkst du daran, daß Nebel eine Form dessen ist, aus welchem alles Leben besteht.
Dir fällt ein, daß du nur zwei Buchstaben in dem Wort NEBEL austauschen mußt, um das Wort LEBEN zu erhalten. In diesem Moment hast du das Gefühl, als hättest du die liebevolle Umarmung der Sonnenstrahlen nie tröstender empfunden.
Kennst du das auch?