Perfektion ist suspekt

Woche fünf vor Ostern
Die kostbare Gegenwart

Die vielen Reaktionen auf meinen letzten Beitrag erschienen mir wie ein Geschenk.
Alle SchreiberInnen waren sich einig, dass sie von einem Lehrer oder einer Lehrerin keine Perfektion verlangen, sondern Ehrlichkeit und Echtheit suchen. Das geht mir genauso.

Claire_BildEs war schön, sich bestätigt zu fühlen. Mir wurde aber auch klar, dass es mir nicht vordringlich um Bestätigung geht.

Das Wichtigste an all den spontanen Mails und Grüßen war die beglückende Erkenntnis, dass meine Beiträge von vielen aufmerksam gelesen und wirklich geschätzt werden.

Es ist toll, so viele Menschen zu erreichen und zu wissen, dass sie ähnlich denken wie ich – und das wiederum ist eine großartige Bestätigung, die mir die Energie gibt, jede Woche etwas Neues zu schreiben.

Claire, eine Kursteilnehmerin aus der Schweiz, schickte mir dieses Bild, und ich freue mich, dass sie mir erlaubt hat, es zu veröffentlichen.

Perfektion ist suspekt
Claires Mail trug den Titel „Perfektion ist suspekt“. Das gefiel mir.
Vielleicht ist es eine gute Faustregel, dachte ich, jeder Art von Perfektion erst einmal zu misstrauen.
Oft sehen wir Perfektion, weil wir sie sehen wollen –  und nicht, weil sie wirklich vorhanden ist.

Und dann fragte ich mich:
Wann und wo ist denn Perfektion vorhanden?
Ich kenne nur ständigen Wandel, Fließen, Erscheinen und Vergehen.
Und dieser Wandel ist vielleicht auf seine Art vollkommen – aber perfekt?
Gibt es in dieser Welt überhaupt so etwas wie Perfektion?
Ist sie nicht per se immer eine Illusion?
Ist nicht jede Art der Perfektion dazu verdammt, früher oder später der Vergänglichkeit anheim zu fallen, zu zerbröseln, zu vergehen? Sich irgendwann in Staub aufzulösen?
Und beginnt diese Auflösung nicht gleich im ersten Moment?

Ich denke da an ein Bild, das vor meinem inneren Auge erschienen, als ich heute einen Artikel über die Revolten anlässlich der Eröffnung der EZB in Frankfurt las. Ich sah dieses riesige, glitzernde – so perfekt erscheinende – Gebäude und nahm gleichzeitig wahr, wie die ersten Gebrauchsspuren auftauchten, nach und nach ein Gewebe von Zerfall bildeten und die stolze Glas- und Metallkonstruktion nach tausend oder zweitausend Jahren in einen Müllhaufen verwandelten.

Philosophisch gestimmt
Ihr seht, ich bin heute etwas philosophisch gestimmt. In zwei Tagen ist Frühlingsanfang und Sonnenfinsternis, und auf der ganzen Welt brodelt es vor Unruhen, Machtspielen und unreifen Vernichtungsstrategien. Da bleibt einem doch nichts anderes übrig, als zu singen, zu philosophieren und der kostbaren Gegenwart zu huldigen, die so leicht übersehen wird, und die für Perfektion keine Zeit hat.

Ja, die Gegenwart hat überhaupt keine Zeit! Da ist kein Raum für Zeit – nur für Zeitlosigkeit und für das, was gerade hier, in diesem Augenblick präsent ist und gespürt, gesehen, gehört, erlebt werden kann.

Die Übung für diese Woche:

Beim Malen ist dieser kostbare Gegenwartsmoment oft wie ein Tor zu unseren tiefsten Ausdrucksbedürfnissen, Flow-Erfahrungen und Seelenfarben. Und vielleicht wäre es eine gute Anregung, diese Woche zu „fasten“, indem wir bewusst immer wieder alles weglassen, was nicht Gegenwart ist – beim Malen, beim Schreiben, beim Leben!

Außerdem habe ich auf meiner Website gerade eine neue Frühlingsmeditation und eine neue Schreibübung gepostet. Schaut sie euch an – vielleicht passen sie gerade in euer Leben! Ich werde sie beide ein Weilchen machen.